Klassik in deinem Kiez: Angst Aus!!!

Von Emma Gay | 21. November 2019

Das Konzert unseres Patenmusikers im Stellwerk.

Alle Lichter gehen aus und das Publikum ist komplett still. Sie alle denken über das gleiche nach: ihre Ängste. Bis plötzlich einer der Scheinwerfer angeht, dieser zeigt aber nicht auf den Pianisten, der eigentlich im Mittelpunkt dieses Konzertes steht, sondern auf eine Dame im Publikum. Sie ist nur die erste von vier Zuhörern, die allen Anwesenden erstaunlich offen von ihren Ängsten erzählen. Von der Angst, tote Ratten im Schrebergarten zu finden, bis hin zur Angst, von geliebten Menschen verlassen zu werden, sind viele Sorgen vertreten, doch die Angst, um die sich das Konzert drehte, ist das Lampenfieber.

Dieser kurze Ausschnitt aus dem etwa 60-minütigen Konzert, illustriert sehr gut, wie es sich von „klassischen“ klassischen Konzerten unterscheidet. Das Konzert am Donnerstag, den 14.11. ist nur das erste von zwölf Konzerten des „Klassik in deinem Kiez“ Festivals, mit dem diesjährigen Instrument Klavier, das von TONALi ins Leben gerufen wurde. Dieses Festival ist lediglich der Abschluss des aktuellen TONALi-Jahres und besteht aus zwölf einzigartigen klassischen Konzerten, die in außergewöhnlichen Locations in ganz Hamburg stattfinden. Was diese Konzerte wirklich besonders macht ist, dass sie hauptsächlich von Schülern organisiert werden. Zwölf Hamburger Schulen wird ein Patenmusiker zugeteilt und die Schülermanager dieser Schule organisieren gemeinsam mit ihm ein Konzert.

Aurel Dawidiuk ist erst 19 Jahre alt, doch er ist bereits ein hervorragender Pianist und Künstler, was sich auch in seinem Konzert mit dem Titel „Angst Aus!!!“ wieder gezeigt hat. Aurel ist der Patenmusiker der Heisenberg-Gymnasiums Hamburg und hat gemeinsam mit den sieben Schülermanagern seiner Patenschule das Konzert gestaltet und organisiert. Die Schülermanager waren nicht nur an der Organisation beteiligt, sondern haben auch schon vorher an ihrer Schule Karten für das Festival verkauft, im stellwerk am Tag des Konzertes alles vorbereitet und auch während des Konzertes alle für den Ablauf wichtigen Jobs übernommen.

Swetlana Urich, die stellvertretende Schulleiterin des Heisenberg-Gymnasiums, erzählt, dass sie schon vor zwei Jahren, als der das Projekt betreuende Lehrer erstmals mit der Idee auf sie zukam, das Heisenberg-Gymnasium an TOANLi zu beteiligen, das Projekt großartig fand und ihm ihre volle Unterstützung zusprach. Nach dem Konzert sei sie sehr stolz auf die SchülerInnen ihrer Schule und sei auch vom Konzert selber begeistert. Besonders angesprochen hätte sie das abwechslungsreiche Programm und die Einbindung des Publikums.

Diese Einbindung des Publikums ist es, was TONALi-Konzerte so stark von anderen unterscheidet, das Ziel ist, die starke Trennung zwischen Musiker und Publikum aufzulösen. Deswegen wurden die Zuhörer von Aurel miteingebunden in seine Erkundung des Themas Angst. Statt einfach nur einen Monolog zu halten, hat Aurel auch einen Gast: den Saxophonisten und Klarinettisten Dr. Günter Adler, der von Aurel am Flügel begleitet, sowohl Saxophon als auch Klarinette gespielt hat.

Denn neben Chopin und Liszt wurde auch Paul Desmonds „Take Five“ gespielt, bei dem das Publikum den Part des fehlenden Schlagzeugs übernommen hat. Man konnte keine Spur von Langeweile in den Gesichtern der jungen und alten Leute entdecken, als diese sich zu ihren Sitznachbarn drehten und sich gegenseitig im Takt in die Hände klatschten.

Zwischen der Musik geht es um die Angst und das Lampenfieber, vor allem aus der Sicht eines Musikers und in ihren kurzen Dialogen kommen Aurel und Dr. Adler unter anderem auf ihre ersten Konzerterfahrungen, das Problem mit der Angst vor der Angst und die Frage, was man nun gegen Lampenfieber tun kann, zu sprechen.

Dabei merkt man Aurel keine Spur des Lampenfiebers an, von dem er erzählt, bis es ihm am Ende scheinbar zu viel wird. Mitten in der Zugabe, die er zusammen mit Dr. Günter Adler begonnen hat, steht er auf und verlässt die Bühne. Sein Part am Flügel wird von einer Frau, die im Publikum sitzt übernommen und noch überraschter sind die Zuhörer nur, als Aurel plötzlich zurückkehrt und anfängt Zartbitterschokolade, eines seiner persönlichen Mittel gegen Lampenfieber, an die Leute zu verteilen.

Am Ende des Abends hat das Publikum viel mitgenommen: besondere musikalische Eindrücke, eine sehr interessante Aufarbeitung der Angst aus der Sicht eines Musikers und natürlich Schokolade. Und dabei war das Konzert im Stellwerk nur der Auftakt für vieles mehr. Die anderen elf Konzerte versprechen genauso einzigartig zu werden und werden sicherlich auch für sonst eher nicht an Klassik interessierten Personen interessante Einblicke und ein tolles Erlebnis bieten.

 

Copyright Fotos: Georg Tedeschi